Markus 4,3-8

Das „Hört!“ ganz zu Beginn der Jesusrede in Vers 3 (vor „Siehe, ein Sämann ging aus“) korrespondiert mit der am Schluss noch folgenden, durch die Worte „Und er sprach“ abgesetzten und noch einmal neu einsetzenden Aufforderung: „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ (Vers 9). In beiden Fällen dürfte es sich um nachträgliche Zusätze des Evangelisten handeln, die bereits auf die nichtjesuanische Gleichnisdeutung (s.u.) abzielen, kommt es für ihn doch jetzt darauf an, den „besonderen Sinn“ des Gleichnisses zu erfassen.

In Vers 5 (nach „Anderes fiel auf Steine“) wurde nachträglich der erklärende Zusatz eingeschoben: „wo es nicht viel Erde gab; und sogleich ging es auf, weil die Erde nicht tief genug war“ („sogleich“ ist ein Lieblingswort des Markus).

In Vers 6 (nach „wurde es versengt“) wurden auch hier die die Beschreibung des Vorgangs noch einmal wiederholenden und eigentlich nicht nötigen Worte: „und weil es keine Wurzel hatte, verdorrte es“ angefügt.

In Vers 7 (nach „und erstickten es“) dürften die Worte „und es gab keine Frucht“ ebenfalls später, vielleicht im Blick auf den folgenden Satz, ergänzt worden sein.

Der Schluss ist wahrscheinlich nachträglich gesteigert worden: „und sechzigfach und hundertfach“.

Markus 2,13-20 schließlich legt Jesus eine Deutung in den Mund, die jede Aussage des Gleichnisses Zug um Zug spiritualisiert und auf die Missionssituation der frühen christlichen Gemeinden bezieht.

Das Gleichnis erzählt von einem in Palästina ganz normalen Vorgang. Ein Sämann geht über ein wohl noch ungepflügtes Feld, um zu säen. Dass dabei einiges von dem ausgestreuten Samen nicht zur Reife kommt, ist eine unvermeidliche Begleiterscheinung des Säens. Das auf den Weg Gefallene holen sich die Vögel, das auf die Steine Gefallene versengt die Sonne, das unter die Dornen Gefallene wird erstickt, da die Samen der eingepflügten Dornpflanzen am Leben bleiben konnten und zusammen mit dem Getreide aufgingen. Doch der größte Teil des Samens kommt zur Reife und bringt Frucht. Jede Ähre trägt 30 Körner, was dem Durchschnitt entspricht. Nichts im Gleichnis ist außergewöhnlich. Jesus erzählt etwas völlig Selbstverständliches und will seine Hörer gerade dadurch überzeugen. – Doch wovon?

Betrachten wir das Gleichnis deshalb etwas genauer. Es besteht aus einer Exposition, einem Eröffnungssatz und einem viergliedrigen Hauptteil. Dieser ist völlig gleichmäßig aufgebaut: In einem ersten Versglied wird zunächst erzählt, wohin der Same fällt. Das doppelteilige zweite Versglied erwähnt sodann jeweils zuerst das Erscheinen des „Feindes“ des Samens und dann dessen vernichtende Wirkung. Auch der letzte Vers stimmt mit diesem durch die vorangegangenen Passagen vorgegebenen Schema grundsätzlich überein (Doppelgliedrigkeit insgesamt, Doppelgliedrigkeit des zweiten Versteils), weist jedoch bereits sprachlich einige Besonderheiten auf: Statt mit kai állo („und anderes“) wird er mit kai álla eingeleitet (dem versucht die Übersetzung durch die Formulierung „alles Übrige aber“ zu entsprechen), und nur hier stehen die beiden Verben im zweiten Versteil nicht im Aorist (griechische Vergangenheitsform), sondern im Imperfekt (zur Unterscheidung werden sie deshalb hier präsentisch wiedergegeben); vermutlich soll dadurch auf den noch unabgeschlossenen Wachstumsprozess hingewiesen werden.

Im Mittelteil der Geschichte ist eine gewisse Steigerung zu beobachten: Während der Same im ersten Fall sofort von den Vögeln aufgepickt wird, ruht er im zweiten Fall wohl etwas länger auf dem blanken Stein, bis die Sonne ihn verbrennt; im dritten Fall wächst die Pflanze zwar auf, wird aber von den Dornen erstickt, die zusammen mit ihr aufgegangen waren. Alle drei Schilderungen enden mit der Vernichtung des Samens bzw. der aufgegangenen Pflanze.

Die vierte Szene fügt dem allen aber nicht einfach eine weitere Möglichkeit hinzu, bedeutet auch nicht eine bloße Steigerung des vorher Erzählten. Sie steht vielmehr in deutlichem Kontrast zu den vorangehenden Versen: Im Gegensatz dazu fällt der Same jetzt auf guten Boden; er wird nicht mehr durch „Feinde“ vernichtet, sondern trägt vielfältige Frucht. Der Schwerpunkt der Geschichte liegt damit sowohl aus formalen als auch aus inhaltlichen Gründen eindeutig auf dem letzten Satz.

Das Gleichnis setzt damit ein, dass ein Sämann die Saat ausbringt – ganz offensichtlich zur rechten Zeit und in der richtigen Art und Weise. Es ist ein ganz normaler, wahrscheinlich gerade deshalb äußerst knapp erzählter Vorgang. Umso ausführlicher wird sodann die Vergeblichkeit seines Handelns geschildert: die dreifache Schilderung des Misserfolgs nimmt den größten Raum in der Erzählung ein. So manches, was Menschen im Reich Gottes, das heißt aus ihrer Weltverbundenheit heraus zur rechten Zeit tun, trägt gleichwohl keine Frucht. Doch auch dies ist letztlich ganz „normal“. So wie beim Säen „natürlich“ nicht jeder ausgestreute Same Frucht bringt, so verhält es sich auch im Reich Gottes. Entscheidend ist letztlich allein, dass das allermeiste dann doch aufgeht, gedeiht und Frucht bringt. Und eben auch dies ist ganz „normal“. Darauf ist fester Verlass – es „kann“ gar nicht anders sein!

Um diesen Akzent der Gewissheit zu unterstreichen, dass sich etwas entwickelt und wächst, unterscheidet Jesus noch in besonderer Weise zwischen der Vernichtung des Samens und seinem Gedeihen: Die Zerstörung liegt zurück (Aorist). Nicht auf den Misserfolg soll sich das Augenmerk richten. In den Blick zu nehmen ist vielmehr das Wachsen und Reifen, das immer noch im Gange ist (Imperfekt).

 


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