Entschieden wird im Untergrund

 

Mit erbarmungsloser Zähigkeit halten die westlichen Gesellschaften an der eingerichteten Ordnung fest, obwohl sie in die Katastrophe zu führen droht. Zu ihren Grundelementen zählen Arbeit, Produktion, Konsum, Markt, Kapital, Profit, Ressourcen, Freihandel, Wachstum, Wohlstand, Sicherheit. Das sind Wörter im öffentlichen Diskurs, die dem Denken seine Bahnen vorgeben. Sie schreiben die Welt fest, bis sie ausgehärtetem Beton gleicht. Sie bilden ein Labyrinth, das zum Gefängnis wird. Mit den schönen Wörtern verwalten die Wenigen eine Welt, die für die Vielen zur Hölle wird. Die politische Sprache steckt in den vorgeblich alternativlosen Lösungen fest, klebt am Sichtbaren im Vordergrund, begnügt sich mit dem Wurzellosen an der Oberfläche.

Steigt man hinab in den Untergrund zu den Wurzeln des Lebens, dann geben Waffen, Krieg, Macht, Herrschaft, überhaupt alle Diskursobjekte ihr abgetrenntes, wurzelloses Wesen preis.  Oben präsentieren sie sich selbstherrlich und souverän im hellen Licht, als stünden sie alle im Dienste des Lebens und der Bedürfnisse der Menschen. Dass es nicht so ist, bleibt unbemerkt, weil es alltäglich mit vermeintlicher Vernunft zugedeckt wird. Wenn der Politik- und Weltbetrieb aber nur an Stellschrauben dreht, sperrt er sich selber in den Käfig. Er ignoriert die andere Dimension im Untergrund. Seine Wahrnehmung ist blockiert. Die Herrschaft der Wenigen will, dass es so bleibt.

Die Wahrnehmung kommt erst frei, wenn das Denken, das nur mit den Weltobjekten jongliert, angehalten wird. Denn vor jedem Denken, Urteilen, Planen, Entscheiden sind wir leiblich in die Welt eingebettet, durch tausend Fäden mit ihr verbunden. Die leibliche Existenzweise besteht gerade darin, im Gegensatz zu Bewusstsein, Geist und Verstand, mit der Welt verwoben zu sein. Wir, die wir in und durch die Medien der Erde, Luft, Wasser,  Boden existieren, sind so an den gesamten Lebenszusammenhang gebunden, sei es der Aufenthalt auf dem Boden des Planeten, sei der Austausch mit den Stoffen der Erde, sei es die Verwobenheit in die soziale Welt.

Weil der Menschenleib nicht allein für sich aus dem Nichts entstanden ist, verweist er auf den ganzen Kosmos des Lebendigen und dabei zuerst auf die Tiere, die anderen Tiere, die Verwandten des Menschen. In ihnen steht dem Menschen nicht eine Natur gegenüber, sondern als leibliche Existenz ist er selber die Natur. Sich von ihr mit Hilfe der sogenannten Vernunft zu distanzieren und aus ihr herauszunehmen, führt zu Gewalt und Zerstörung. Nur wenn der Leib nicht vergegenständlicht, nicht zum Ding-Körper gemacht wird, erfährt er sich in die eine Welt des animalischen Lebens integriert.

Ausführlicher sind diese Gedanken dargestellt in meinem Buch „Die Öffnung der blockierten Wahrnehmung. Merleau-Pontys radikale Reflexion“, Bielefeld 2016

 

Entnommen aus: Hans Bischlager, Entschieden wird im Untergrund. Politische Gedichte, Verlag tredition GmbH, Hamburg 2017, Seite 57-59 (Nachwort)

 

Zahlreiche der in diesem Buch veröffentlichten Gedichte finden sich unter der Rubrik „Verletzungen der Welt“ zu vielen Themenfeldern auch auf dieser Internetseite.

 

 


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