„Das siebte Kreuz“
Ansprache von Pfarrer Kuno Hauck im Reich-Gottes-Gottesdienst am 28. März 2014 in der Jakobskirche in Nürnberg
Liebe Reich-Gottes-Gemeinde, sieben Häftlinge flüchten 1937 aus einem Konzentrationslager. Ihre Flucht wird jedoch rasch entdeckt, unter Sirenengeheul machen sich die Wachmannschaften der SA mit Bluthunden an die Verfolgung. Um die anderen Häftlinge von zukünftigen Fluchtversuchen abzuschrecken, lässt der KZ-Kommandant an sieben gekappte Bäume auf dem Lagergelände Kreuze nageln. An diesen Kreuzen sollen die wieder eingefangenen Männer enden. Sechs der Männer müssen ihre Flucht teuer mit dem Leben bezahlen. Das siebte Kreuz aber bleibt leer: Georg Heisler kann entkommen, er findet den Weg in die Freiheit. Das siebte Kreuz wird schließlich irgendwann im Lager verbrannt.
Diese Geschichte findet sich in dem Buch „Das siebte Kreuz“ der 1900 in Mainz geborenen und 1983 in Berlin verstorbenen Schriftstellerin Anna Seghers. Trotz aller Grausamkeit und Brutalität, die uns in diesem Buch begegnen, ist die Geschichte vom siebten Kreuz eine Hoffnungsgeschichte, weil sie von einem Kreuz erzählt, das leer geblieben ist. Sie lässt uns wissen, dass Widerstand und Zivilcourage dazu führen, dass ein Kreuz am Ende leer bleibt. Das grausame Folterinstrument, der Ort des Todes wird für die Häftlinge im Konzentrationslager zum Symbol des Lebens und der Hoffnung.
Das leere Kreuz aus der Geschichte, das Kreuz, das nicht gebraucht wurde, das Kreuz des Lebens, hat dagegen in unserer christlichen Tradition eine ganz andere Bedeutung. Überall wohin wir schauen, auch hier in dieser Kirche, ist das Kreuz ein Symbol des Leidens. Das Kreuz ist in unseren Vorstellungen, in unserem Reden und auch in der Kunst ein Symbol des Schmerzes und des Todes.
Natürlich war und bleibt das Kreuz der Ort der Folter und der Hinrichtung, an dem Jesus von Nazareth grausam gestorben ist – ein schwer auszuhaltendes Symbol, das für die Christen des ersten Jahrhunderts vielleicht nur deshalb zu ertragen war, weil sie es als „notwendig“ interpretierten. „Musste nicht Christus dies erleiden, um in seine Herrlichkeit einzugehen?“, sagte der Wanderer zu den Jüngern, die auf dem Weg nach Emmaus waren. Jahrhundertelang hat genau diese Vorstellung die christliche Theologie, die Lehre und den Glauben nachhaltig geprägt.
Eine ganz andere Sicht des Kreuzes begegnet uns bei der Schweizer katholischen Theologin Regula Strobel in einem Aufsatz mit dem Titel: „An Karfreitag wurde ein Auferstandener gekreuzigt“. Dieser schlichte Satz sagt doch: Das Heil, das durch Jesus in die Welt gekommen ist, hat er durch sein Leben bewirkt. Er lebte wie der Sohn Gottes, teilte das Brot und heilte Menschen, gab ihnen Hoffnung durch seine Predigt und sprach vom Reich Gottes mitten unter uns, vom Himmel auf Erden. Dadurch forderte er die politisch, wirtschaftlich und religiös Mächtigen heraus und das brachte ihn schließlich und endlich ans Kreuz. „An Karfreitag wurde ein Auferstandener gekreuzigt“. So wie er war und gelebt hat, mit seiner Botschaft hat er uns den „Weg, die Wahrheit und das Leben“ gezeigt.
Liebe Reich-Gottes-Gemeinde, auch wenn das Kreuz ein schwer auszuhaltendes Symbol ist, ist und bleibt es das Erkennungszeichen des Christentums, weltweit. Und wenn ich angesichts dieses Symboles an das siebte leere Kreuz aus der Geschichte von Anna Seghers denke, dann hat es für mich eine bleibende Bedeutung. Das leere Kreuz sagt mir: Gott hat die Pläne des Bösen durchkreuzt, der Plan der politischen, wirtschaftlichen und religiösen Elite, der Plan der Mächtigen dieser Erde ist nicht aufgegangen. Jesus, seine Botschaft vom Reich Gottes ist nicht tot zu kriegen. Die Sache Jesu geht weiter, sie wächst beständig, so wie der Sauerteig unaufhaltsam den Teig durchsäuert und das Senfkorn unbeirrt zum großen Baum heranwächst.
Liebe Reich-Gottes-Gemeinde, die besten Kreuze sind trotzdem die, die nicht gebraucht oder die zerbrochen werden. Wo immer Menschen Kreuze zu tragen haben, gekreuzigt werden, ihnen Leid zugefügt wird, dürfen wir nicht wegschauen. Gerechtigkeit ist keine Sache, die erst nach dem Tod beginnt, gemäß dem schon vor Jahren geschrieben Lied von Kurt Marti:
„Das könnte den Herren der Welt ja so passen, wenn erst nach dem Tode Gerechtigkeit käme…“
„Das könnte den Herren der Welt ja so passen, wenn hier auf der Erde stets alles so bliebe…“
Das leer gebliebene siebte Kreuz ist ein Aufruf für das Leben, ganz so wie es uns Kurt Marti in seiner dritten Strophe formuliert:
Doch ist der Befreier vom Tod auferstanden,
ist schon auferstanden und ruft uns jetzt alle,
zur Auferstehung auf Erden,
zum Aufstand gegen die Herren,
die mit dem Tod uns regieren.
Amen