Markus 10,25

Wahrnehmen kann man das Reich Gottes nur, wenn man in ihm lebt, wenn man so lebt, wie es sich aus der tief empfundenen Weltverbundenheit heraus ergibt. Dazu aber gehört, wie sofort einsichtig ist, die Armut, ein einfaches Leben, was heißt, nicht mehr zu besitzen, als man wirklich braucht. Reich Gottes und Reichtum schließen einander aus. So wie es unmöglich ist, dass das größte seinerzeit im Vorderen Orient bekannte Tier durch die kleinstmögliche Öffnung eines Nadelöhrs passt, so ist es völlig undenkbar, dass ein Reicher am Reich Gottes teilhaben kann. Aber damit noch nicht genug. Die Schärfe wird auf die äußerste Spitze getrieben: „unmöglicher als unmöglich“ müsste man geradezu formulieren. Leichter ist es noch für ein Kamel, durch ein Nadelöhr zu kommen – was natürlich an sich schon undenkbar ist –, als dass ein Reicher ins Reich Gottes gelangt. Absoluter kann man es wohl nicht mehr ausdrücken, dieses „Unmöglichste vom Unmöglichen“. Für einen Reichen gibt es keinen Zugang zum Reich Gottes – eindeutig und kompromisslos. Kein anderes Wort stellt die Unvereinbarkeit von Reichtum und Reich Gottes so bildhaft scharf und unerbittlich klar wie dieses Wort.

Natürlich geht es um das Heute, um die Gegenwart. Der Jesus nachträglich in den Mund gelegte, wenig später im Text folgende Satz (Vers 26b-27), mit dem er auf eine bereits eschatologisierende Anfrage einer späteren Zeit: „Wer kann dann gerettet werden?“  reagiert: „Bei den Menschen ist es unmöglich, nicht aber bei Gott, denn alles ist möglich bei Gott“ (Vers 27), missversteht das „Eingehen ins Reich Gottes“ als einen erst zukünftig-jenseitigen Vorgang.  Auch infolgedessen verkennt er, dass sich die Radikalität des jesuanischen Bildworts aus dem Reich-Gottes-Charakter der Welt selbst ergibt, sie deshalb ganz und gar unausweichlich ist und nur um den Preis der Reich-Gottes-Erfahrung selbst aufgehoben werden könnte. Und immer noch geistern auch weitere Versuche umher, diesem Jesuswort seine Spitze und Eindeutigkeit wieder zu nehmen: So wurde in wenigen und unbedeutenden Handschriften das Wort kámälos („Kamel“) durch die Veränderung eines Buchstabens in kámilos („Seil“) gefälscht und damit das Paradoxon aufgelöst. Bisweilen wird auch die haltlose, durch nichts begründete These vertreten, trümaliá rafídos („Nadelöhr“) sei der Name eines besonders engen Stadttors in Jerusalem gewesen. Die Tendenz all dieser Versuche liegt klar auf der Hand: Durch Abschwächung sollte die Unerbittlichkeit, die dieses Wort kennzeichnet, aufgeweicht, den Reichen eben doch ein Schlupfloch offen gelassen werden, das es nach Jesus für sie nicht gibt – ohne jedes Wenn und Aber.


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