Exkurs 1

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DIE WELT-RELIGION JESU

BASISKURS BASILEIOLOGIE

 

 

Der Kanon der Bibel

 

Unter dem Kanon der Bibel versteht man jene Bücher, die das Judentum und das Christentum als Bestandteile ihrer Heiligen Schrift festgelegt und damit zum Maßstab ihrer Religion gemacht haben. Es handelte sich um einen längeren geschichtlichen Prozess, der, was den zweiten Teil der Bibel, das Neue Testament, angeht, erst im 4. Jahrhundert nach der Zeitenwende zum Abschluss kam.

Der Anstoß dazu kam von außen: Marcion (um 160 nach der Zeitenwende), ein vom Gnostizismus beeinflusster hochgebildeter Mann, gründete nach seinem Ausschluss aus der christlichen Gemeinde eine eigene Kirche und legte als deren Grundlage einen ersten Kanon an. Da er von einen grundlegenden Unterschied zwischen dem „bösen Gott‘“ des Alten Testaments, der für Schöpfung, Gesetz und Gericht verantwortlich ist, und dem von Christus verkündigten und gelebten „guten Gott der Liebe“ des Neuen Testaments ausging, verwarf er das Alte Testament. Sein Kanon enthielt von den inzwischen in den christlichen Gemeinden verwendeten Evangelien lediglich das durch ihn, Marcion, von vermeintlich judaistischen Verfälschungen gereinigte Lukasevangelium sowie zehn von Paulus verfasste oder ihm zugeschriebene Briefe.

Damit war das kirchliche Christentum herausgefordert, sich seinerseits auf einen verbindlichen Kanon zu verständigen. Anstatt allerdings nun eigene Kriterien zu entwickeln (sich etwa ausschließlich auf die authentischen Jesusworte zu beschränken), war die Reaktion eher von einer Abwehrhaltung gegenüber Marcions Theologie bestimmt: Um die Trennung eines Schöpfergottes von einem Erlösergott zurückzuweisen, übernahm die Kirche unter der Bezeichnung „Altes Testament“ die Sammlung der heiligen Schriften des Judentums, deren genauer Umfang (= Kanon) um 100 nach der Zeitenwende festgelegt wurde. Die römisch-katholische und die orthodoxen Kirchen zählen dazu auch jene Bücher, die zwar in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der sogenannten Septuaginta, enthalten waren und auch von der lateinischen Bibelübersetzung, der Vulgata, vorausgesetzt werden, vom Judentum jedoch nicht allgemein anerkannt worden sind. Es handelt sich um die Bücher Tobit, Judit, 1. und 2. Makkabäer, Baruch, Weisheit und Sirach, ferner zusätzliche Abschnitte in den Büchern Daniel und Esther (in der äthiopischen Kirche ist lange Zeit und von der europäischen Theologie völlig unbemerkt das „Buch des Propheten Henoch“ fester Bestandteil des Bibelkanons gewesen). Martin Luther hat diese sogenannten deuterokanonischen Bücher (sie werden auch als „Apokryphen“ oder „Spätschriften des Alten Testaments“ bezeichnet) wieder aus dem Kanon ausgeschieden.

Was das Neue Testament betrifft, war die Kanonizität einiger Schriften (des Johannesevangeliums, des ersten und zweiten Petrusbrief, des zweiten und dritten Briefs des Johannes, des Hebräerbriefs, des Briefs des Jakobus sowie der Offenbarung des Johannes) in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende umstritten, wurden aber schließlich doch ins Neue Testament aufgenommen. Andere (der erste und zweite Clemensbrief, die Didache, der Barnabasbrief, der Hirte des Hermas, das Hebräerevangelium und die Offenbarung des Petrus) waren teilweise anerkannt, sind aber am Ende doch nicht für kanonisch erklärt worden. Im 4. Jahrhundert haben sich schließlich die 27 jetzt im Neuen Testament enthaltenen Bücher bzw. Briefe als kanonisch durchgesetzt. Gleichsam festgelegt wurde der neutestamentliche Kanon im Jahr 367 durch den 39. Osterfestbrief des Bischofs Athanasius von Alexandria.

Claus Petersen

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