Kapitel 15

RICHTIG LEBEN – HIER UND JETZT

DIE WELT-RELIGION JESU

BASISKURS BASILEIOLOGIE

 

 

Folgerungen, Konkretionen, Vertiefungen:

Die unaufhaltsame Dynamik eines weltverbundenen Lebens

 

 

Aber ist die Saat denn aufgegangen? Ist denn alles so „normal‘“ verlaufen, wie Jesus es in seinem Gleichnis beschreibt? Schon im Neuen Testament wird doch der Same seiner neuen und erfrischenden Botschaft immer wieder eher untergepflügt denn gegossen und gepflegt, wie wir nun schon mehrfach festgestellt haben. Beschreiben folgende Zeilen den Tatbestand nicht viel treffender? „Zweitausend Jahre sind es fast, seit du die Welt verlassen hast, / du Opferlamm des Lebens!“, schrieb Erich Kästner im Jahr 1930, „Du gabst den Armen ihren Gott. / Du littest durch der Reichen Spott. / Du tatest es vergebens! // Die Menschen wurden nicht gescheit. / Am wenigsten die Christenheit, / trotz allem Händefalten. / Du hattest sie vergeblich lieb. / Du starbst umsonst. Und alles blieb / beim Alten.“ So lauten die erste und die letzte Strophe seines Gedichts „Dem Revolutionär Jesus zum Geburtstag“.

Spontan möchte man den Worten Erich Kästners sofort zustimmen. Sicher haben manche Menschen – ich denke zum Beispiel an Franz von Assisi, an Dietrich Bonhoeffer, an Martin Luther King – das jesuanische Evangelium gelebt, aber in der christlichen Kirche ist es vollkommen in Vergessenheit geraten. Heute kann man es zumindest wieder freilegen, könnte es wiederentdecken, aber macht das alles denn überhaupt Sinn? Sind die Gegenkräfte nicht einfach zu stark? Könnte es sein, dass die Sympathisantinnen und Sympathisanten Jesu damals im Prinzip ganz ähnlich dachten – und immer wieder nahe daran waren zu resignieren?

Doch wenn dieses Neue, das Jesus weniger verkündigt, propagiert, sondern lebt, die Wahrheit ist? Wenn es richtig ist? Und genau diesen Eindruck müssen ja doch zumindest einige gehabt und diese Art zu leben als das nicht nur für sie, sondern im Grunde für alle Menschen Richtige und Wahre entdeckt haben. Das Gleichnis bestärkt sie darin. Das Saatgut gehört zur Erde und in die Erde und wird eben deshalb Frucht tragen – einzelne, ganz normale „Ausreißer“ können daran grundsätzlich gar nicht ändern. Genauso aber verhält es sich mit der Existenzweise, die Jesus und seine Leute repräsentieren: Weil sie der Welt gemäß ist, weil sie sich eben aus dieser Weltverbundenheit heraus wie von selbst ergibt, wird sie und muss sie Kreise ziehen, wird sie die Erde zum Blühen bringen, wird sie die Welt wieder verzaubern – und seien die Widerstände noch so groß.

Ein solches Leben überzeugt, ja begeistert den oder die, der oder die es lebt, aus sich selbst heraus. Es ist aus sich selbst heraus stärker als jedes entfremdete Leben, das sich falschen, fremdbestimmten, dem Leben nicht gemäßen Vorgaben unterwirft. Und es wird immer wieder aufblühen, gebärden sich die Gegenmächte auch noch so aggressiv. Jesus erinnert mit seinem Gleichnis daran. So viele Menschen spüren es noch in sich, haben ihren Lebenskompass noch nicht verloren. Sie wissen noch, was zu tun und was zu lassen ist! Immer wieder hört und liest man davon, mit welcher Energie, Geduld und Unbeirrbarkeit sie sich für das einsetzen, was ihnen lebens-wichtig erscheint. Es geschieht – bis heute! – nichts Schlimmes, Falsches und Verkehrtes in unserer Welt, wogegen nicht Menschen Einspruch erheben, zu widerstehen und das Verletzte zu heilen versuchen. So wie dieser „Basiskurs Basileiologie“ nach den Kalenderwochen gegliedert ist, habe ich auch im Blick auf die Verletzungen der Welt versucht, die schlimmsten ihrer Erscheinungsformen auf die 52. bzw. 53 Wochen des Jahres aufzuteilen. In allen Fällen – und seien die Wunden noch so groß und tief – findet sich in all diesen Fällen unter „Aktion“ eine ganze Reihe von Beispielen, die zeigen, dass Menschen es nicht dabei bewenden lassen wollen und können.

Dafür noch ein konkretes, als ich diese Zeilen schrieb, ganz aktuelles Beispiel. Als die russische Invasion in die Ukraine eben begonnen hatte, ist der „Palme-II-Bericht“ von einer Kommission mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, internationalen Organisationen, Wissenschaft und Gewerkschaften fertiggestellt worden. Nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung vom 27. Februar 2022 angekündigt hatte, ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereitzustellen und in Zukunft Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren, ist er am 21. April 2022 unter dem Titel „Gemeinsame Sicherheit 2022“ in Stockholm veröffentlicht worden. Es handelt sich um einen dramatischen Appell an die Weltgemeinschaft: „Wir müssen die internationale Ordnung in den Griff bekommen, um Kriege zu verhindern, die globale Erwärmung aufzuhalten, eine Pandemie zu bekämpfen und globale Herausforderungen zu bewältigen“, heißt es in dem Report. Die Autorinnen und Autoren verlangen die „Einberufung einer UN-Sondergeneralversammlung zum Thema Abrüstung im Jahr 2023/2024, um eine globale Verpflichtung zur Senkung der Militärausgaben um zwei Prozent pro Jahr festzulegen“. Diese „globale Friedensdividende“ solle „zur Finanzierung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung, der UN-Friedenskonsolidierung und eines gerechten Übergangs zu klimafreundlichen Arbeitsplätzen“ genutzt werden. Die 25-köpfige Gruppe hatte sich zusammengefunden, um an die Arbeit der Palme-Kommission um den ehemaligen schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme vor 40 Jahren anzuknüpfen, die seinerzeit auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges das Konzept einer „gemeinsamen Sicherheit“ vorgestellt hatte. Darin hieß es: „Internationale Sicherheit muss auf der Verpflichtung zum gemeinsamen Überleben beruhen und nicht auf der Drohung mit gegenseitiger Vernichtung.“ (Ich beziehe mich auf den Artikel „Weltweiter Appell für Abrüstung“ von Pitt von Bebenburg in der Frankfurter Rundschau vom 22. April 2022)

Wenn es die Weltverbundenheit ist, die unser Leben in der rechten Weise geschehen lässt, dann ist ein solches Leben schon durch sich selbst und nicht erst durch besondere Aktivitäten ein „Same“, der „Früchte“ trägt, ein Leben, das sich auf andere und auf die Welt in gutem Sinne auswirkt. Und so werden eben doch immer wieder Wunden geheilt, werden falsche Wege tatsächlich verlassen, wendet sich – trotz allem – so manches zum Guten. Es bleibt nicht alles beim Alten.

Claus Petersen

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