Kapitel 40

RICHTIG LEBEN – HIER UND JETZT

DIE WELT-RELIGION JESU

BASISKURS BASILEIOLOGIE

 

 

„Und in seiner Freude geht er hin…“

Das Gleichnis vom Schatz im Acker (Matthäus 13,44)

Das siebzehnte der 21 Jesusworte

 

Wir wenden uns nun dem sogenannten Sondergut der Evangelisten „Matthäus“ und „Lukas“ zu, also denjenigen Texten, die sich nur in einem dieser beiden Evangelien finden, nicht jedoch im Markusevangelium und aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht in der Spruchquelle. Im Neuen Testament überliefert nur das Matthäusevangelium das Gleichnis vom Schatz im Acker, das ausdrücklich vom Reich Gottes handelt („Matthäus“ ersetzt den Begriff wieder durch „Himmelreich“, vgl. Kapitel 26). Es wird hier mit der Entdeckung und Inbesitznahme eines Schatzes verglichen. Beides geschieht hier und jetzt, in der Gegenwart. Somit spricht alles dafür und wird auch in der neutestamentlichen Wissenschaft nicht bestritten, dass die Erzählung auf Jesus selbst zurückgeht.

 

Das ‚Reich Gottes‘ gleicht einem Schatz, der in einem Acker verborgen war.
Ein Mensch fand ihn und verbarg ihn wieder. Und in seiner Freude geht er hin,
verkauft alles, was er besitzt, und kauft jenen Acker.

 

Dieser Schatz muss die Entdeckung seines Lebens gewesen sein. Der Mensch, der ihn gefunden hat, unternimmt alles, um seiner habhaft zu werden. Zunächst verbirgt er ihn wieder, und dann verkauft er in seiner grenzenlosen Freude alles, was er besitzt, um jenen Acker zu erwerben. Billiger kommt er nicht an den Schatz, der nicht etwa seinen Besitz vermehrt, sondern ganz im Gegenteil: Seine gesamte bisherige Existenz muss er für diesen Schatz einsetzen, und das heißt: aufgeben, beenden. Aber dieser Schatz ist es ihm ohne jede Frage wert.

Man kommt kaum umhin, dieses Gleichnis mit dem Leben dessen zu verknüpfen, der es erzählt. Wie wir ja schon festgestellt haben, war Jesus durchaus nicht immer schon im Besitz jenes Schatzes. Zunächst hatte ihn Johannes der Täufer in seinen Bann gezogen, der verkündigte, dass eine neue Weltepoche unmittelbar bevorstehe (vgl. Kapitel 32): Schon sehr bald werde Gott sein Gericht über die Welt vollziehen, das nur die Guten überleben werden („Die Axt ist den Bäumen schon an die Wurzel gelegt. Darum: Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen“; Matthäus 3,10 / Lukas 3,9), womit ein ganz neuer Äon beginnen werde. Zu ihnen wollte auch Jesus gehören. Bis es so weit ist, gilt es, im alten Äon auszuharren und jetzt, nachdem das Wasser der Taufe, der sich auch Jesus unterzogen hat, alles Sündhafte abgewaschen und der Getaufte für die neue Welt gleichsam versiegelt worden ist, nicht mehr von dem rechten Weg abzukommen. So stand das gegenwärtige Leben zwar ganz im Zeichen des Kommenden, aber angebrochen war es noch nicht.

Wie überwältigend muss die Freude gewesen sein, die Jesus erfüllt hat, als ihm aufging, dass das echte, das richtige Leben nicht erst in der Zukunft, nach dem erwarteten göttlichen Weltgericht, möglich sein wird, sondern jetzt schon, heute und hier! Diesen Schatz hatte er entdeckt – und widmet ihm jetzt sein ganzes weiteres Leben. Er bricht mit seiner Vergangenheit, verlässt Johannes, der ihn getauft hatte, zieht von der kargen einsamen Gegend am Jordan zu den Menschen am See Genezaret in Galiläa, wendet sich voll und ganz der Welt und dem Leben zu.

Der Mensch in dem Gleichnis findet mit dem Schatz, den er im Acker, in der Erde entdeckt hat, genau das, was er gesucht hat, das, was ihm unendlich wichtig ist, das, was ihm auf keinen Fall wieder abhandenkommen darf. Unter allen Umständen muss er ihn sich zu eigen machen. Moralische Erwägungen – etwa der Gedanke, dass es nicht ganz korrekt sein könnte, den Acker zu erwerben, ohne den Vorbesitzer über den Schatz zu informieren – spielen hier keine Rolle. Es geht allein um den Schatz. Niemand soll ihn finden und mitnehmen, deshalb wird er wieder verborgen. Der Finder, die Finderin nimmt ihn aber auch nicht einfach an sich, sondern erwirbt den Acker mit dem Schatz, von dem der vorherige Eigentümer nichts erfährt, damit er dem Menschen, der ihn entdeckt hat, nicht wieder streitig gemacht werden kann. Dieser aber muss „alles verkaufen, was er besitzt“, um den Acker zu erwerben. Die Entdeckung des Schatzes lässt gewissermaßen keinen Stein mehr auf dem andern, krempelt das Leben ganz und gar um, ist nur durch vollen Einsatz zu gewinnen. Dieser Schatz erneuert die gesamte Existenz. Dieser Fund ist offensichtlich der Schlüssel, mit dem sich die Tür zur wahren Existenz, zum richtigen Leben öffnen lässt. Es fehlt nichts mehr. Es kommt nichts mehr. Das ist es: das richtige, das wahre Leben.

Und genau an dieser Stelle wechselt die Erzählzeit von der Vergangenheitsform ins Präsens. Die Dynamik wird noch einmal gesteigert: als ob sich das, was geschieht, um des Schatzes teilhaftig zu werden, eben jetzt und immer wieder jetzt vollzieht. Man kann sich dem als Hörer:in beziehungsweise als Leser:in kaum entziehen. Beinahe unwillkürlich stellt sich die Frage ein: Wäre es jetzt nicht auch an mir? Könnte nicht auch ich diesen Schatz gewinnen? Und dass es der gesamte Besitz ist, der voller Freude für eben jenen Schatz eingetauscht wird, ist dabei sicher kein Nebengedanke. Das, was jetzt zählt, ist etwas ganz anderes. Besitz spielt nicht nur keine Rolle mehr, er ist unvereinbar mit diesem Schatz.

Ähnlich, aber in entscheidender Weise doch ganz anders stellt sich dies in dem auf das Gleichnis vom Schatz im Acker folgenden Gleichnis von der kostbaren Perle (Matthäus 13,45f.) dar. Es spielt in einem ganz anderen, „gehobenen“ Milieu und setzt denn auch nicht mit dem Schatz ein, sondern mit dem „Kaufmann, der schöne Perlen suchte“. Die Entdeckung der „einen überaus wertvollen Perle“ ist deshalb hier auch keine wirkliche Überraschung, die etwas völlig Neues eröffnet, sondern der Erfolg emsigen Suchens. Dies ist wohl auch der Grund dafür, dass die Freude über die Entdeckung keine Erwähnung mehr findet. Der Wechsel der Erzählzeit machte in diesem Zusammenhang ebenfalls wenig Sinn und unterbleibt denn auch, handelt es sich hier doch um einen eher singulär-einmaligen, abgeschlossenen Vorgang, der sich kaum verallgemeinern lässt. Der Schatz ist genau definiert: Es ist diese eine Perle, die zwar alle anderen Perlen, die der Kaufmann besitzt, aufwiegt, mehr aber auch nicht. Dass er von einer völlig anderen Qualität ist als der bisherige Besitz, wie aus dem Gleichnis vom Schatz im Acker hervorgeht, ist hier von vornherein ausgeschlossen. Auch gehört ein reicher Kaufmann für Jesus gewiss nicht zu den Anwärtern auf das Reich Gottes. So spricht alles dafür, dass es sich bei diesen Versen um eine nachträgliche, die Aussageabsicht des ursprünglichen Gleichnisses vom Schatz im Acker schon nicht mehr bewahrende, vielmehr eher verdunkelnde, letztlich missglückte „Verdoppelung“ handelt. Aufgrund dieser gravierenden Differenzen ist nicht nachzuvollziehen, dass die neutestamentliche Exegese praktisch durchweg von einem Doppelgleichnis spricht, das insgesamt auf Jesus zurückgehe.

Claus Petersen

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