Zum 10. November 1943
Hinrichtung der katholischen Geistlichen Hermann Lange, Eduard Müller und Johannes Prassek sowie des evangelischen Pfarrers Karl-Friedrich Stellbrink in Lübeck (Lübecker Märtyrer).
Nach dem verheerenden Bombenangriff auf Lübeck im März 1942 sind diese vier „Lübecker Märtyrer“ verhaftet, vom Volksgerichtshof in Hamburg wegen „Wehrkraftzersetzung, Heimtücke, Feindbegünstigung und Abhören von Feindsendern“ zum Tode verurteilt und innerhalb von neun Minuten hingerichtet worden. Unterschiede zwischen den Kirchen wurden gleich nach der Verhaftung deutlich. Während sich die katholische Seite für ihre Kapläne einsetzte, eröffnete der evangelische Kirchenrat umgehend ein Disziplinarverfahren, um Stellbrink aus dem Amt zu entfernen. Das Gnadengesuch einiger Pastoren wurde abgelehnt. Man könne nicht für einen „Volksverräter“ eintreten, heißt es im Protokoll. (Quelle: Münchner Sonntagsblatt vom 16.11.2003)
„Stellbrink hatte schon vor seiner Verhaftung den Rückhalt seiner Kirche verloren. Die Kirchenleitung hatte ihn bereits ein paar Tage vorher, aufgrund eines Gestapohinweises, vom Dienst suspendiert und seines Amtes enthoben. Und anders als die drei katholischen Geistlichen erhielt er im Gefängnis keinerlei Unterstützung oder seelsorgerliche Besuche von seiner Lübecker Kirche. Der dortige Bischof lehnte ein Gnadengesuch ab, mit der Begründung, Stellbrink sei ja ein ‚Volksverräter’. Nach dem Krieg dann hielten selbst Pfarrer der Bekennenden Kirche das Verhalten ihres früheren Kollegen für verurteilenswert. Erst 1993 rehabilitierte die nordelbische Kirche Stellbrink offiziell als ‚Zeugen der christlichen Wahrheit und Opfer eines unmenschlichen Regimes’.“ (Aus: Thomas Bastar, Ein schwieriger Held, in: Chrismon. Das evangelische Magazin 05.2011, S. 72)
Seit dem 11. Oktober 2018 erinnert eine Sonderbriefmarke an die „Lübecker Märtyrer“:
Klare Worte gegen Krieg und NS-Diktatur mit dem Tod bezahlt
Zum 75. Jahrestag der Hinrichtung von vier Lübecker Geistlichen am 10. November 1943 gab das Bundesfinanzministerium eine Sonderbriefmarke der Deutschen Post heraus. Auf diese Weise werden der evangelische Pastor Karl-Friedrich Stellbrink, seinerzeit Pfarrer an der Lübecker Lutherkirche, und die drei jungen Priester der katholischen Propsteikirche Herz Jesu, Johannes Prassek, Eduard Müller und Hermann Lange, für ihren vernehmlichen Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur bundesweit geehrt.
Gemeinsam erkannten die vier Männer, dass christlicher Glaube und die nazistische Ideologie unvereinbar sind, und übten daher in Predigten und Gesprächskreisen öffentlich Kritik am Regime. Mit Jugendlichen diskutierten sie über ethische und politische Fragen. So zogen sie die Aufmerksamkeit der Gestapo auf sich und wurden nacheinander im Frühjahr 1942 verhaftet. Im Juni 1943 wurde ihnen vor dem Volksgerichtshof der Prozess gemacht. Alle vier wurden wegen „Rundfunkverbrechen, landesverräterischer Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilt und am 11. November 1943 durch die Guillotine enthauptet. Ein Gnadengesuch des katholischen Bischofs von Osnabrück für die drei Priester wurde abgelehnt. Pastor Stellbrink erfuhr damals von seiner evangelischen Kirche keinerlei Solidarität, im Gegenteil: nach seiner Verurteilung und noch vor der Hinrichtung wurde er aus dem kirchlichen Dienst entlassen.
Kaplan Johannes Prassek, 1911 geboren, wurde zunächst evangelisch-lutherisch getauft und erhielt ein Jahr später bedingungsweise die katholische Taufe (für denn Fall, dass die evangelische Taufe nicht gültig gewesen sein sollte). Nach dem Abitur beginnt er an der theologisch-philosophischen Hochschule St. Georgen sein Theologiestudium. Schon während seines Studiums entwickelte sich seine regimekritische Einstellung. Zum Priester geweiht wurde er 1937 und geriet schon in seinem ersten Dienstjahr in Mecklenburg ins Visier der Gestapo. In seiner Seelsorgearbeit nahm er sich besonders der polnischen Saison- und Zwangsarbeiter an.
Vikar Hermann Lange, Jahrgang 1912, studierte Theologie in Münster und kam ein Jahr nach seiner Priesterweihe 1939 an die katholische Hauptkirche Herz-Jesu in Lübeck, wo er in der Männer- und Jugendseelsorge eingesetzt war. Er wird als reformorientierter Theologe geschildert, der in der Wertschätzung der Heiligen Schrift den reformatorischen Kirchen nahestand. Aus seiner Ablehnung des Nationalsozialismus machte er keinen Hehl und vervielfältigte und verteilte regimekritische Schriften und Flugblätter.
Eduard Müller, ebenfalls 1911 geboren, erlernt zunächst das Schreinerhandwerk und holt erst später das Abitur nach, das er 1935 ablegt. Anschließend beginnt er in Münster das Theologiestudium. Während der Semesterferien in den Jahren 1936–1939 macht er jeweils ausgedehnte Reisen mit Jugendlichen aus seiner Pfarrgemeinde in Neumünster. Nach der Priesterweihe 1940 wird er Kaplan an der Lübecker Herz-Jesu Gemeinde. Er arbeitet als Seelsorger mit Kinder- und Jugendgruppen sowie der Kolpinggruppe. Seine Jugendarbeit ist so erfolgreich, dass die Hitlerjugend ihn abwerben will.
Die drei jungen Priester wurden für ihr Blutzeugnis im Juni 2011 selig gesprochen. Dabei wurde auch Pastor Karl Friedrich Stellbrink als der einzige evangelische der vier Märtyrer geehrt.
Stellbrink, Jahrgang 1894, war eine Generation älter als die drei katholischen Priester. Nach zweijährigem Kriegsdienst wurde er 1917 schwer verwundet und aus dem Heer entlassen. Nach dem Abitur 1919 absolvierte er das Predigerseminar in Soest. 1921 wurde er als Geistlicher für den Dienst im Ausland ordiniert. Acht Jahre lang fungierte er als Seelsorger für deutsche Siedler in Rio Grande do Sul. Schon zu dieser Zeit gehörte er mehreren völkischen Organisationen an. Ab 1930 wurde er Pfarrer in Thüringen. Als Mitglied des „Bundes für Deutsche Kirche“ sympathisierte er offen mit der NSDAP, der er 1933 beitrat. 1934 wird der Pfarrer an der Lübecker Lutherkirche, die damals eine Hochburg der „Deutschen Christen“ war, denen sich Stellbrink aber nicht anschloss.
Noch im selben Jahr zeichnet sich in seiner Haltung ein radikaler Wandel ab: Stellbrink legt seine Parteiämter nieder, vermutlich wegen ständiger Konflikte zwischen der Evangelischen Jugend und der Hitlerjugend. 1937 wird er aus der NSDAP ausgeschlossen. Seine Ablehnung des Krieges und der „Euthanasie“ (systematische Ermordung von Psychiatriepatienten und Behinderten) machten ihn vollends zum Regimegegner. Seit 1941 stand er in freundschaftlichem Kontakt zu den drei jungen Priestern der Herz Jesu Kirche in Lübeck, mit denen zusammen er regimekritische Verlautbarungen kirchlicher Amtsträger veröffentlichte. Nach dem schweren Bombenangriff auf Lübeck soll Stellbrink im Palmsonntagsgottesdienst 1943 gesagt haben, Gott habe mit mächtiger Sprache geredet. Die Gestapo legte ihm zur Last, dass das die Bevölkerung auf das Äußerste erregt habe. Kurz darauf, am 7. April, wurde er mit seinen drei katholischen Amtsbrüdern verhaftet.
75 Jahre später machen in Deutschland wieder rechtsradikale, nationalistische Umtriebe von sich reden. Bei Demonstrationen wird der Hitlergruß ungeniert gezeigt, Hassparolen gegen Andersdenkende, Ausländer und Flüchtlinge durchziehen die „Sozialen Medien“.
Die Sondermarke für die vier „Lübecker Märtyrer“ erschien in einer Auflage von vier Millionen Exemplaren. Sie erinnert daran, wohin nationalistische Ideologie führte. Bei der Vorstellung der Sondermarke sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete Bettina Hagedorn im Lübecker Rathaus: „Das sind vier Millionen Zeichen für den Glauben, vier Millionen Zeichen für eine HALTUNG und für den Mut, diese auch angesichts von Bedrohung nicht aufzugeben. Es sind vier Millionen Zeichen gegen das Unrecht.“
Veit Schäfer
Literatur:
Weitere Informationen zu den vier Lübecker Märtyrern finden Sie hier.