Zum 30. April 1958

Am letzten Tag der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Berlin-Spandau wird unter maßgeblicher Mitwirkung des NS-Widerstandskämpfers und evangelischen Christen Lothar Kreyssig (1898–1986) die Aktion Sühnezeichen gegründet.

Präses Lothar Kreyssig verliest im Plenum den Aufruf „Wir bitten um Frieden“. Er hat folgenden Wortlaut:

Wir Deutschen haben den Zweiten Weltkrieg begonnen und schon damit mehr als andere unmessbares Leiden der Menschheit verschuldet: Deutsche haben in frevlerischem Aufstand gegen Gott Millionen von Juden umgebracht. Wer von uns Überlebenden das nicht gewollt hat, der hat nicht genug getan, es zu verhindern.
Wir haben vornehmlich darum noch immer keinen Frieden, weil zu wenig Versöhnung ist. Dreizehn Jahre sind erst in dumpfer Betäubung, dann in neuer angstvoller Selbstbehauptung vergangen. Es droht, zu spät zu werden.
Aber noch können wir, unbeschadet der Pflicht zu gewissenhafter politischer Entscheidung, der Selbstrechtfertigung, der Bitterkeit und dem Hass eine Kraft entgegensetzen, wenn wir selbst wirklich vergeben, Vergebung erbitten und diese Gesinnung praktizieren. Des zum Zeichen bitten wir die Völker, die Gewalt von uns erlitten haben, dass sie uns erlauben, mit unseren Händen und mit unseren Mitteln in ihrem Land etwas Gutes zu tun; ein Dorf, eine Siedlung, eine Kirche, ein Krankenhaus oder was sie sonst Gemeinnütziges wollen, als Versöhnungszeichen zu errichten.
Lasst uns mit Polen, Russland und Israel beginnen, denen wir wohl am meisten wehgetan haben.
Wir bitten heute, Deutsche die Deutschen, dass sich um Gottes Willen arbeitsfähige Frauen und Männer aller Stände und Konfessionen bereit finden möchten, je auf ein Jahr nach Polen, Russland oder Israel zu gehen, um dort gemeinsam ein Friedenszeichen zu errichten.
Wir bitten die Regierungen Polens, der UdSSR und Israels, den Dienst – wie viele sich immer dazu bereit finden möchten – nicht als eine irgendwie beträchtliche Hilfe oder Wiedergutmachung, aber als Bitte um Vergebung und Frieden anzunehmen und zu helfen, dass der Dienst zustande kommt.

Dieser Appell, den Verbrechen in der Nazizeit Zeichen der Versöhnung entgegenzusetzen, wurde zur Geburtsstunde der Aktion Sühnezeichen. Es sollte nur ein Jahr dauern, bis die ersten Deutschen im Auftrag der Aktion Sühnezeichen ins Ausland gingen: Im südniederländischen Ouddorp bauten sie eine Feriensiedlung für Arbeiter, in der norwegischen Finnmark eine Kirche. Insgesamt haben inzwischen (2008) rund 10.000 Menschen teilgenommen. Zu den wichtigsten Tätigkeitsfeldern gehört es, Überlebende des Holocaust zu unterstützen – in derzeit 13 Ländern, die vom Zweiten Weltkrieg besonders betroffen waren, wie Frankreich, Polen, Russland, Israel und den USA – sowie in Konzentrationslager-Gedenkstätten mitzuarbeiten. Andere Freiwillige betreuen behinderte und sozial benachteiligte Menschen oder helfen Flüchtlingen. Heute entsendet die Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste (ASF) jährlich rund 140 junge Freiwillige zu Arbeitseinsätzen im In- und Ausland; seit 1996 kommen pro Jahr auch rund 20 Freiwillige aus den USA, Osteuropa, Israel und anderen Ländern für eine Friedensdienst nach Deutschland.

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