Zum 9. Oktober 1989

„Am 9. Oktober 1989, zwei Tage nach den staatlichen Jubelfeiern zum 40. Jahrestag der DDR, war die Stadt Leipzig schlaglichtartig in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Fast 100.000 Menschen zogen nach Friedensgebeten in der Nikolaikirche durch die Straßen und skandierten: ‚Wir sind das Volk!‘ Maßgeblich für den friedlichen Verlauf war die besonnene Haltung der Demonstranten, zu der Prominente wie der Leipziger Gewandhauskapellmeister Kurt Masur aufgerufen hatte. Bis zum heutigen Tag sind die Bilder von damals ein Synonym für Mut und Selbstbewusstsein.“ (Nürnberger Nachrichten vom 7.8.2004)

Sechs prominente Leipziger um Gewandhauskapellmeister Kurt Masur, Theologe Peter Zimmermann, Kabarettist Bernd-Lutz Lange und die Sekretäre der SED-Bezirksleitung Leipzig Kurt Meyer, Jochen Pommert und Roland Wötzel hatten sich aus Sorge um eine bevorstehende Eskalation der Gewalt, die sowohl durch Gerüchte als auch durch eine einseitige Berichterstattung in der Leipziger Volkszeitung (für die Pommert als beaufsichtigender Sekretär für Agitation und Propaganda die Mitverantwortung trug) für wahrscheinlich gehalten wurde, in Masurs Haus getroffen und den Aufruf gemeinsam verfasst („Aufruf der Sechs“): „Unsere gemeinsame Sorge und Verantwortung haben uns heute zusammengeführt. Wir sind von der Entwicklung in unserer Stadt betroffen und suchen nach einer Lösung. Wir alle brauchen einen freien Meinungsaustausch über die Weiterführung des Sozialismus in unserem Land. Deshalb versprechen die Genannten heute allen Bürgern, ihre ganze Kraft und Autorität dafür einzusetzen, dass dieser Dialog nicht nur im Bezirk Leipzig, sondern auch mit unserer Regierung geführt wird. Wir bitten Sie dringend um Besonnenheit, damit der friedliche Dialog möglich wird.“ Die drei SED-Sekretäre hatten ihr Vorgehen nicht mit der Parteiführung im Bezirk abgestimmt. Dessen ungeachtet wurde der Aufruf von Masur verlesen und vor Beginn der abendlichen Demonstration über den Stadtfunk in der Leipziger Innenstadt öffentlich ausgestrahlt. Auch in den Kirchen war der Aufruf verlesen worden.

Die Leipziger Demonstration vom 9. Oktober wird als der Wendepunkt der Entwicklungen jener Monate betrachtet und gilt als Meilenstein der Friedlichen Revolution. Es folgten viele weitere Demonstrationen und am 9. November 1989 schließlich der Fall der Berliner Mauer.

„Im Vergleich zur Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989, auf der Zehntausende DDR-Bürger ihr Leben für das Recht auf Freiheit einsetzten, wirkt die Entscheidung der DDR-Volkskammer, der Bundesrepublik Deutschland beizutreten, wie ein Unterwerfungsakt. Deshalb halte ich den 3. Oktober nach wie vor für ein schwaches Datum, das der historischen Leistung der DDR-Bürgerinnen und -Bürger nicht gerecht wird.“ (Aus: Fritz Pleitgen, Eine unmögliche Geschichte. Als Politik und Bürger Berge versetzten, Keyser Verlag, Berlin 2021)

Literatur:

  • Mit Kerzen haben sie nicht gerechnet. Das Ende der DDR – von der Friedlichen Revolution zur deutschen Einheit, herausgegeben von Karl-Heinz Baum und Thomas Schiller, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2015

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Seit 2001 wird jährlich im Oktober der Leipziger Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien verliehen, der an die Friedliche Revolution in Leipzig vom Herbst 1989 erinnern soll.

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