Klaus Simon, Um Gottes Willen! Reden vom Willen Gottes und zeitgemäßes Wissen
Glauben und Wissen im Einklang
Kann er Mystiker sein, der Christ der Zukunft – und Physiker zugleich? Selbstverständlich kann er, und ohne Konflikt. Während sich die eine Seite seines Ichs der Erfahrung des Transzendenten hingibt, widmet sich die andere der Erkenntnis des Hiesigen. Glaubenserfahrung und rationale Erkenntnis sind verschiedene Wahrnehmungsformen, sie liefern unvergleichbare Ergebnisse. Es wäre nicht vernünftig, sie gegeneinander auszuspielen. Anders sieht es aus, wenn Glaubens-Aussagen gemacht werden. Dann begegnen uns nicht originäre Glaubenserfahrungen, sondern deren Reflexion. Es sind in Worte gesetzte „Abbilder“ der eigentlichen Erfahrungen, verwoben mit dem Wissen und der Vorstellungswelt der jeweiligen Epoche. Treffen in solchen Aussagen Glauben und Wissen aufeinander, so sind wir gut beraten, ein Mindestmaß an Einklang zu fordern. Wir sollten wenigstens wissend für möglich halten, was wir glaubend erwarten. Andernfalls ist es schlecht bestellt um unsere Identität.
Der Begriff ‚Willen Gottes‘ ist ein Beispiel dafür, wie sich Glauben und Wissen zu einem zeitgemäßen Verständnis zusammenfinden müssen. Denn in einer Zeit, wo der Leiter der vatikanischen Sternwarte George V. Coyne feststellt, er brauche Gott ganz und gar nicht, um das Universum zu erklären: Ist da für den Willen Gottes überhaupt noch Platz? In einer Zeit, wo der Philosoph Hans Jonas in seinem Gottesbegriff den „Herrn der Geschichte“ nicht mehr gelten lässt: Was bleibt da übrig vom Willen Gottes? Spätestens seit Auschwitz (und den folgenden Ungeheuerlichkeiten) weiß doch jeder: Gott lässt es geschehen. Wie aber können wir im Einklang mit diesem Wissen glauben, dass Gottes Willen in dieser Welt waltet?
Ein Versuch, vom Willen Gottes zu reden
Am Anfang steht die axiomatische Annahme, dass die vorfindliche Weltentwicklung einer verursachenden Kraft, einem großen Zusammenhang gehorcht. Wir können dieses Phänomen ‚Alpha‘ nennen, dann ist es frei von Altlasten, allerdings auch frei von jeglichem Bezug. Nennen wir es ‚Gott‘, so wird die Bezugnahme möglich auf das, was schon vor uns geglaubt wurde. Belassen wir die obige Definition ohne überkommene Ausschmückung, so ist es nicht etwa unwissenschaftlich, Gott in diesem Sinne vorauszusetzen. Denn der andere mögliche Ausgangspunkt, nämlich dass kein Gott, dass kein solches Phänomen, dass sozusagen „nichts“ Ursache und Zusammenhang der Weltentwicklung sei, wäre auch nur eine axiomatische Annahme – und in meinen Augen eine weniger glaubwürdige.
Wenn wir also Gott als verursachende Kraft und großen Zusammenhang der Weltentwicklung annehmen, so ist das, was wir vor Augen haben, die Evolution von Gottes Welt. Warum sollten wir dann nicht die Gesetzmäßigkeiten hinter den evolutionären Abläufen als Willen Gottes verstehen? Es sind doch die Spielregeln, die Gott offensichtlich der Evolution gegeben hat. Bei solcher Sicht ist unser Wissen ein ausschnitthaftes Abbild von Gottes Willen (und kann nicht wirklich mit „Gottes Wort“ kollidieren, wie rückwärts gewandte Glaubenswächter meinen). Es sind Gottes Gesetze, die wir erkennen. Sie existieren objektiv und unabhängig von uns. Sie verkörpern Gottes Willen, wie die Evolution ablaufen soll. Dieser Blickwinkel ist vielleicht etwas ungewohnt. Aber einen Versuch ist er wert.
Unsere Herausforderung
Betrachten wir die evolutionären Gesetze näher, so sind da nicht nur Naturgesetze. Auch die Organisation gesellschaftlicher Strukturen unterliegt objektiven Gesetzmäßigkeiten. Sie lassen sich bspw. unter soziologischen oder kybernetischen Gesichtspunkten formulieren. Und heute, wo die biologische Menschen-Evolution längst in eine geistige Evolution übergegangen ist, sind es vor allem diese Gesetze, die für uns zunehmend Bedeutung erlangen. Wir sind gesellschaftliche Wesen geworden, Elemente eines hochorganisierten Systems. Und auch dessen Spielregeln können wir im obigen Sinne als Gottes Willen verstehen.
Bei steigender Intelligenz der Elemente eines Systems wachsen einerseits die Aktionsmöglichkeiten, und andererseits wird die gestiegene Intelligenz nun Rückkopplung ermöglichen, mit den gewachsenen Aktionsmöglichkeiten sinnvoll umzugehen. Das ist eine grundsätzliche Eigenschaft solcher Systeme, und genau hier liegt die Herausforderung. Bei unseren gestiegenen technischen Möglichkeiten wirken die traditionell ‚den anderen‘ zugedachten Nachteile mittlerweile global zurück – und betreffen uns selber. Das gilt für Massenvernichtungswaffen ebenso wie für die Umweltbelastung. Wir sind nun die Rückkopplung schuldig, um unserer selbst willen das Wohl der anderen besser zu bedenken. Unsere urtümlichen Verhaltensmuster entsprechen einfach nicht mehr den Gesetzen, die für das Leben in hochorganisierten System gelten. Die wissenschaftlichen Modellrechnungen lassen keinen Zweifel: Wir müssen lernen, einfühlsamer und verständnisvoller mit Umwelt und Mitmenschen umzugehen. Das ist kein frommer Wunsch, sondern die nüchterne Erkenntnis einer objektiv geltenden Anforderung. Und wie jede objektiv geltende Anforderung der Evolution lässt sich auch diese wieder als Willen Gottes begreifen; als offenbar entscheidende Spielregel, der wir in der jetzigen Phase unterliegen.
Überraschung
Vergleichen wir dieses Resultat mit der Jesus-Überlieferung, so lässt das Ergebnis aufhorchen. Bei Jesus ist von einem Reich Gottes die Rede, das ist schon bereit, mitten unter uns. Es ist ausgebreitet über die Erde und wächst, wo der Samen einer von Liebe und Barmherzigkeit getragenen Lebensweise aufgeht. Wer so lebt, entspricht dem Willen Gottes. ‚Liebe und Barmherzigkeit‘ – das aber ist nichts anderes als ‚einfühlsames Verständnis für Umwelt und Mitmenschen‘. Unsere heutigen Erkenntnisse stellen demnach gerade das als objektiv geltende Anforderung fest (als Willen Gottes), was auch bei Jesus schon der Inbegriff des Willens Gottes war. Glauben und Wissen sind hier nicht nur im Einklang, sondern liefern regelrecht gleiche Resultate. Wir stehen vor dem wahren – weil verifizierbaren – Kern der Jesus-Botschaft! Er befasst sich mit nichts Geringerem als der alles entscheidenden Spielregel unserer Existenz in dieser Welt. Könnte es sein, dass wir über all der Ausschau nach dem Jenseits diesen Kern ein wenig aus den Augen verloren haben?
Klaus Simon
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