Gewalt gegen Frauen: Information
INFORMATION
Die tödliche Gewalt gegen Frauen hat WELTWEIT zugenommen. Wie aus dem im November 2023 unter dem Titel „Geschlechtsspezifische Tötungen von Frauen und Mädchen (Femizid)“ veröffentlichten Bericht des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) in Wien hervorgeht, wurden Jahr 2022 fast 89.000 Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts getötet – die höchste erfasste Zahl von Femiziden seit zwei Jahrzehnten. Mehr als 133 Frauen oder Mädchen sind in ihrem Wohnraum getötet worden. 55 Prozent (48.800) aller Tötungsdelikte an Frauen sind von Familienangehörigen oder Partnern verübt worden. Die Dunkelziffer liegt dem Bericht zufolge höher, da nicht alle Gewalttaten gegen Frauen als Femizid oder geschlechtsspezifische Taten erfasst werden.
Laut Amnesty International ist sexuelle Gewalt gegen Frauen die häufigste Menschenrechtsverletzung überhaupt.
Laut einer am 9. März 2021 veröffentlichten Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat weltweit jede dritte Frau zwischen 15 und 49 Jahren (etwa 736 Millionen Frauen weltweit) sexuelle, physische oder psychische Gewalt innerhalb oder außerhalb von Partnerschaften erlebt. Die große Mehrheit, 641 Millionen Frauen, erfahre Gewalt in der Ehe oder Partnerschaft.
Rund 20 Prozent der weiblichen Flüchtlinge seien von sexuellem Zwang, Übergriffen und Vergewaltigungen betroffen, erklärte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, am 26. November 2021 in Genf und rief zu einem besseren Schutz von Mädchen und Frauen vor sexualisierter Gewalt auf. Infolge der Pandemie habe sich ihre Lage noch verschlimmert. Wegen Schulschließungen hätten etwa Mädchen Schutzräume verloren.
Im Zentrum des am 14. April 2021 veröffentlichten UNFPA-Weltbevölkerungsberichts 2021 „Mein Körper gehört mir: Das Recht auf Autonomie und Selbstbestimmung einfordern“ steht das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und Unversehrtheit von Mädchen und Frauen.
Wie eine neue, Anfang März 2014 veröffentlichten Studie der europäischen Grundrechteagentur (FRA) zeigt, hat jede dritte der in der EUROPÄISCHEN UNION lebenden Frauen seit ihrer Jugend schon körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt – in absoluten Zahlen sind das 62 Millionen. Fünf Prozent davon seien vergewaltigt worden.
Nach Angaben von Terre des Femmes erleidet in DEUTSCHLAND jede vierte Frau im Alter von 26 bis 85 Jahren mindestens einmal körperliche und/oder sexuelle Übergriffe durch einen Beziehungspartner. Wie die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) berichtete, suchen rund 20.000 Frauen und fast genauso viele Kinder jedes Jahr Zuflucht in einem der bundesweit 350 Frauenhäuser.
Dem am 19. November 2024 in Berlin vorgestellten Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ zufolge waren 938 Mädchen und Frauen im Jahr 2023 von Tötungsversuchen betroffen, 360 von ihnen starben. Insgesamt wurden 180.715 von häuslicher Gewalt betroffene Mädchen und Frauen gemeldet. Die Zahlen sind nach fünf Fallgruppen sortiert: Sexualstraftaten, häusliche Gewalt, Menschenhandel, digitale Gewalt und Femizide; in all diesen Bereichen sind die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Es ist das erste Mal, dass ein solcher Bericht erscheint. Deutschland kommt damit einer Auflage der Istanbul-Konvention nach, nämlich dem Sammeln und Bereitstellen von Daten über Gewalt gegen Frauen.
Dem am 7. Juni 2024 veröffentlichten Lagebild „Häusliche Gewalt“ des Bundeskriminalamtes zufolge waren 256.276 Menschen im Jahr 2023 von häuslicher Gewalt betroffen – 6,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor. 70,5 Prozent der Betroffenen waren Frauen, die Täter in 75,6 Prozent der Fälle Männer. 155 Frauen wurden durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet (im selben Zeitraum wurden 24 Männer Opfer tödlicher Partnerschaftsgewalt). Erfasst sind allerdings nur die Taten, die der Polizei oder der Staatsanwaltschaft bekannt geworden sind. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein.
Laut einer im Oktober 2024 veröffentlichten Sonderauswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) hat die Gewalt gegen Frauen im Jahr 2023 stark zugenommen. Ihr zufolge erlitten 62.404 Mädchen und Frauen im Jahr 2023 eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung wie Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung (2015: 32.460 Fälle); bei Straftaten gegen die persönliche Freiheit wie Zwangsprostitution seien mehr als 148.000 Fälle aktenkundig geworden (2022: 134.000; 2013: 106.000) sowie 260.775 Fälle einer versuchten oder vollendeten Straftat gegen die körperliche Unversehrtheit von Frauen.
Wie aus einem am 15. Juli 2021 veröffentlichten Schattenberichts an ein Expertengremium des Europarats (Grevio), das die Einhaltung der Istanbul-Konvention überwacht, zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Bezug auf geflüchtete Frauen und Mädchen in Deutschland hervorgeht, der von Pro Asyl, Flüchtlingsräten und der Universität Göttingen erstellt wurde, hat Deutschland die Istanbul-Konvention nur mangelhaft umgesetzt. Weibliche Asylsuchende und ihre geschlechtsspezifischen Fluchtgründe werden kaum in den Blick genommen.
Die Berichterstattungsstelle geschlechtsspezifische Gewalt des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) hat am 31. August 2023 den ersten Bericht über die Datenlage zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt in Deutschland veröffentlicht.
Das Bundesfamilienministerium veröffentlichte im Jahr 2005 die umfassende Studie Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, auf die bis heute in vielen Untersuchungen und Berichten Bezug genommen wird. Es handelt sich um die erste repräsentative Befragung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland.
Die Zwangsverheiratung ist eine schwere Menschenrechtsverletzung, in Deutschland mittlerweile sogar ein eigener Straftatbestand, dennoch wird sie auch hier tausendfach praktiziert. Junge Frauen und Männer, in der Regel aus streng religiösen, muslimischen Familien werden – oft unter Androhung von Gewalt – zur Ehe gezwungen. Viele dieser Ehen werden in den Herkunftsländern der Betroffenen geschlossen. Dem Tatbestand der schweren Nötigung folgen somit noch die Freiheitsberaubung und Verschleppung. Der UN-Bevölkerungsfonds (United Nations Population Fund UNFPA) hat in seinem Bericht von 2012 Marrying too young. End child marriage darauf hingewiesen, dass ein Drittel der Mädchen in Entwicklungsländern (außer China) verheiratet sein werden, bevor sie 18 Jahre alt sind. Eines von neun Mädchen wird sogar noch nicht einmal 15 Jahre alt sein. Einer Schätzung des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen zufolge sollen im nächsten Jahrzehnt jährlich 14,2 Millionen Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet werden. Das sind täglich 39.000 Mädchen, die dadurch in ihren Rechten beschnitten werden, wie sie in der UN-Kinderrechtskonvention festgehalten sind. Wegen des starken Bevölkerungswachstums in Afrika werden dort nach einem am 26. November 2015 veröffentlichten Unicef-Bericht immer mehr Mädchen schon als Kinder zwangsverheiratet. Wenn der Trend anhalte, werde sich die Zahl der zu Ehen gezwungenen Minderjährigen bis 2050 von derzeit 125 Millionen auf 310 Millionen mehr als verdoppeln. Laut einem am 7. Juni 2019 veröffentlichten Bericht des UN-Kinderhilfswerks Unicef ist der Anteil der Frauen, die vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet waren, im vergangenen Jahrzehnt von 25 auf 21 Prozent gefallen. Insgesamt gebe es rund 765 Millionen minderjährig verheiratete Eheleute. Davon seien etwa 650 Millionen Mädchen. Etwa 115 Millionen der heute 20 bis 24 Jahre alten Männer seien bei ihrer Hochzeit Kinder gewesen. Etwa ein Fünftel (23 Millionen) sei damals 15 Jahre oder jünger gewesen. Laut dem am 30. Juni 2020 veröffentlichten Weltbevölkerungsbericht der Vereinten Nationen wird jedes fünfte Mädchen weltweit vor seinem 15. Lebensjahr verheiratet, 33.000 Kinder an jedem Tag. Laut einer anlässlich des Welt-Mädchentags am 11. Oktober 2023 veröffentlichten Studie von Plan International Deutschland wurden im Jahr 2022 weltweit zwölf Millionen Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet.
Laut einer Mitteilung der Frauenrechtsorganisation „Terre des Femmes“ vom 24. November 2020 wurden in Deutschland trotz des „Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen“, das seit 2017 ein Mindestalter von 18 Jahren zur Schließung einer Ehe festlegt, innerhalb der letzten drei Jahre offiziell 1.232 Frühehen registriert. Die meisten Früh- und Zwangsverheiratungen fänden jedoch im Rahmen von religiösen und traditionellen Zeremonien statt, die statistisch nicht offiziell erfasst werden.
„Ehrenmorde“ liegen dann vor, wenn ein Familienmitglied aus vermeintlich kultureller Verpflichtung heraus getötet werden soll, um der Familienehre gerecht zu werden. Durchgängige Ursachen sind die starre Verwurzelung in vormodernen agrarischen Wirtschafts- und Sozialstrukturen und das damit verbundene extrem patriarchalische Familienverständnis. Das Verständnis der Rolle der Frau ist in diesen Familienstrukturen teilweise mit Unterdrückung und extremer Reglementierung verbunden. Für das Jahr 2000 erfassten die UN etwa 5000 „Ehrenmorde“ weltweit, wobei jede offizielle Zahl wohl nur die Spitze des Eisbergs darstellt. Die tatsächliche Zahl liegt weit höher, Schätzungen reichen 10.000 bis 100.000 solcher Morde. Denn nur die wenigsten Fälle kommen vor Gericht. Für Deutschland hat das Bundeskriminalamt für den Zeitraum von 1996 bis 2005 55 Fälle von Ehrenmord erfasst.
Nach Angaben der Stiftung für Säure-Überlebende in Indien gibt es jährlich Hunderte Säureattacken. Meistens sind die Opfer Frauen, die wegen ausgeschlagener Heiratsanträge, fehlender Mitgift oder dem Verdacht der Untreue von ihren Freunden oder den eigenen Ehemännern angegriffen werden. Die Bewegung „Stop Acid Attacks“ („Stoppt die Säureattentate“) schätzt, dass in Indien mindestens 1000 Frauen im Jahr von Männern mit Säure überschüttet werden. Ebenso viele sind es in Pakistan. Dessen Menschenrechtskommission registrierte 2013 ebenfalls knapp 1000 Fälle. Kolumbien ist nach Angaben des Internet-Portals Feminicidio.net, gemessen an der Zahl der Einwohnerinnen, das Land mit den meisten Säureattacken. In dem von Drogengewalt und Guerillakrieg gezeichneten südamerikanischen Land ist die Zahl von Säureangriffen auf Frauen in den vergangenen Jahren stark gestiegen. In Bangladesch wurden seit 2002 mehr als 3000 Frauen mit Säure getötet oder entstellt, berichtete die Organisation Acid Survivors Foundation (ASF) im August 2013.
- Ann-Christine Woehrl, Laura Salm-Reifferscheidt, Un/Sichtbar – In/Visible, Lammerhuber Verlag, Wien 2014
Film:
- Sharmeen Obaid-Chinoy, A Girl in the River – The Price of Forgiveness
Vergewaltigung im Krieg ist nicht nur eine besonders perverse Form der Kriegführung, sondern eine erschreckende, traumatisierende Alltagserfahrung von Frauen in vielen Ländern weltweit. Der Gynäkologe Denis Mukwege aus der Demokratischen Republik Kongo, der im Jahr 2013 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wird, hat sein Leben dem Kampf gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen und Vergewaltigung als Kriegsmittel gewidmet. „Diejenigen, die diese Verbrechen begehen, zerstören das Leben in seinem Ursprung“, betont Mukwege. Oft könnten die Opfer keine Kinder mehr bekommen, würden mit Aids infiziert, ihre Ehemänner würden gedemütigt. „So zerstören die Verbrecher das soziale Gefüge ihrer Feinde, ohne die Frau selbst zu töten.“
Literatur:
- Laurène Daycard, Es heißt Feminizid. Wie Frauenmorde verharmlost werden, in: Le Monde diplomatique, November 2024
Vgl. auch 34. Kalenderwoche: Moderne Formen der Sklaverei: Leibeigenschaft, Zwangsarbeit, Menschenhandel